Lieber Erwachsener,
Du liest den Beitrag, weil du interessiert bist, Deinem Kind zu helfen, mit den einschneidenden Veränderungen in seinem alltäglichen Leben zurecht zu kommen.
Wie wunderbar, denn die Unterstützung durch nahestehende Erwachsene hilft dem Kind am Meisten. Deswegen ist es auch nicht so bedeutsam, ob du die von mir beschriebene Anleitung umsetzt oder nicht. Es ist ein Vorschlag, der dich unterstützen kann. Aber das wichtigste ist, dass du bei dem Kind bleibst und dich mit ihm beschäftigst. Ob ihr spielt, bastelt, singt oder Bücher anschaut – du bist das, was für das Kind zählt. Genauso ist es aber wichtig, dass du gut für dich sorgst. Auch du brauchst Auszeiten und Unterstützung.
Die folgende Anleitung entstand in Zusammenarbeit mit meiner wunderbaren Enkeltochter. Sie hat mir erlaubt, unsere Bilder zu posten. Da sie noch nicht schreiben kann, hat sie mir diktiert, was sie aufgeschrieben haben wollte.

Beginne mit deinem Kind eine Unterhaltung über die momentane Situation. Lass Dir erzählen, was für das Kind alles im Moment eine Einschränkung bedeutet. Hör ihm einfach zu, es braucht keine großen Kommentare. Es genügt, dass es sein darf, wie es ist. Halte Papier und Buntstifte bereit und warte auf den Moment, wo du merkst, jetzt wäre es gut, mit Malen zu beginnen. Das kann dann sein, wenn du mitbekommst, die Dinge werden zu bedrohlich, die Gefühle zu intensiv. Oder du siehst, dass dein Kind gerne nicht nur reden möchte.
Lade dein Kind ein, mit dir zusammen die Gefühle übers Malen auszudrücken. Wenn ihr beide mögt, könnt ihr es gemeinsam auf einem Blatt tun. Ansonsten hat jeder von euch ein eigenes Papier. Wie ihr malt, bleibt eure Entscheidung, jeder trifft immer aufs Neue seine eigene Wahl. Wenn du dir unser Beispielbild ansiehst, fällt dir sicher auf, wie unterschiedlich die einzelnen Teile gemalt sind. Egal ob das schwarze oder rote Kritzeleien voll Zorn, Angst oder Wut sind, solange es sich richtig anfühlt, ist alles passend. Vielleicht möchte dein Kind lieber ganz konkret malen, was alles gerade nicht geht. Jede Form, Farbe und Art des Malens ist ok.
Wenn du merkst, es wäre gut, frage gelegentlich nach.
Vielleicht ungefähr so: du malst gerade … (hier beschreibe bitte kurz, was du siehst, ohne Bewertung oder Deutung). Wie ist das für dich, wenn du das anschaust?
Und dann warte bitte eine Weile, es ist überhaupt nicht wichtig, dass das Kind antwortet. Vertraue mit mir darauf, dass sich im Kind etwas bewegt. Es wird dir zu einem passenden Zeitpunkt vielleicht etwas davon verraten. Versuche zu spüren, wie es deinem Kind gerade gehen mag und gib ihm Zeit zu sprechen, wenn es das möchte. Dein Kind zeigt dir, wenn etwas Neues kommen kann. Zum Beispiel nimmt es wieder einen Stift und fängst in einer anderen Ecke an, etwas anderes zu malen. Vielleicht ist es jetzt eine gute Gelegenheit, dass du selbst ein wenig malst oder zeichnest.
Meist möchten die Kinder dann gerne hören, was der Erwachsene fühlt und denkt. Bitte sei vorsichtig in deinen Äußerungen. Es ist dein Kind und nicht ein erwachsener Partner, Freund oder Freundin. Es braucht, dass sein Erwachsener Sicherheit und Zuversicht gibt. Ich wähle in so einem Fall eher allgemeine Formulierungen wie: „Ich ärgere mich auch über den ausgefallenen Geburtstag“ oder „Ich finde es auch schade, dass wir nicht in Urlaub fahren können“. Aber ich gehe nicht ins Detail, dass ich z.B. befürchte, am nächsten Geburtstag könnte die alte Tante nicht mehr am Leben sein.
Wenn das Ärgern, Trauern, Schimpfen und das Malen von all dem genug Zeit und Aufmerksamkeit hatte, dann ist Zeit für eine weitere Einladung.
„Jetzt haben wir lauter Dinge gemalt, die nicht gehen und uns bedrücken. Aber es gibt ja auch noch vieles, was schön ist, was Freude macht und nicht verloren geht. Fällt dir da etwas ein?“
Dann kommt wieder das Malen, der Austausch, das Teilen der Gefühle, ganz wie oben beschrieben. Nehmt euch bitte wirklich Zeit für diesen Schritt, diese Überlegungen, das innere Erleben: „es gibt noch ganz viel, was bleibt“, kann zu einer echten Kraftquelle werden.
Du kannst dein Kind bei diesem Erleben immer wieder unterstützen, indem du fragst, wie sich das anfühlt, was es gerade malt. Und vielleicht findet es sogar einen Ort im Körper, der zu dem passt, was es gerade malt. Vielleicht spürt es die Liebe, die bleibt, in seinem Herzen, so wie ich. Meine Enkelin wollte dann unsere Großfamilie in das Herz malen.
Am Ende hatten wir eine Menge gefunden, was uns guttut und nicht von Corona bedroht ist. Zudem haben wir uns Wege überlegt, in Kontakt zu bleiben.
Am Ende steht immer die Überlegung, was mit den Bildern geschehen soll. Das zweite Bild, ihr „Kraftbild“ hat meine Kleine mitgenommen, sie wird es mit der Mama in ihrem Zimmer aufhängen.
Das schlimme Anfangsbild soll ich aufheben und auch herzeigen, damit die Menschen sehen, was die Kinder fühlen. Das habe ich hiermit getan.
Ich kenne viele Arten, mit schlimmen Bildern umzugehen, dein Kind kann spüren, was stimmig ist.
Ich wünsche euch, dass ihr mit dieser Malanleitung eine gute Zeit miteinander habt.
Wenn du Lehrerin, Erzieherin usw in einer Notgruppe bist, kannst du das auch in einer Gruppe tun. Ich habe schon oft erlebt, dass die Kinder sich dann gegenseitig unterstützen, Banknachbaren helfen sich flüsternd oder ermutigen sich gegenseitig. Wenn jeder die Erlaubnis hat zu malen, können nebenbei und wie von selbst gute, unterstützende Gespräche entstehen.